WELTANSCHAUEN - einfach reisen zu Land und Leuten
Auch an diesem Tag läutet der Wecker früh, denn wir haben einen langen Weg vor uns. Wir verlassen unser nettes Guesthouse und fahren zum Kajansi Airfield, der „Flughafen“ besteht nur aus einem kleinen Haus. Unser Gepäck wird trotzdem durchsucht, wir müssen durch eine Sicherheitsschleuse und werden alle gewogen. Zufällig treffen wir hier auch die Caritas Delegation aus Österreich, die hier auf Projektreise sind und es gibt eine freudige Begrüßung. Unser kleines Propellerflugzeug der Missionaries Aviation Fellowship wartet schon auf uns, nur ein anderer Gast fliegt noch mit. Vor dem Start spricht der Pilot ein kurzes Gebet, dann startet unser kleines Flugzeug erstaunlich sanft über den Viktoriasee und Kampala hinweg. Der Flug dauert etwa 1h30 und führt uns über den Nil, an Bergen vorbei und über immer trockener werdende Landschaften. Schließlich landen wir am Moroto Airport – wieder nur ein kleines Häuschen.
Ismael holt uns in Moroto ab und wird uns von nun an begleiten. In Moroto besuchen wir kurz eine der Caritas Bäckereien aus dem Projekt „Back ma’s“ – mehr zu diesem Projekt später. Jetzt sind wir wirklich im ländlichen Uganda angekommen, hier ist eine der ärmsten Regionen des Landes – das merken wir auch bei unserem kurzen Rundgang in der „Stadt“. Dann fahren wir weiter durch die Savannenlandschaft. Immer wieder sind neben der staubigen Straße traditionelle Dörfer mit Lehmhütten und Strohdächern, umgeben von Holzzäunen und Menschen in den traditionellen Karamajong-Gewändern. Viele tragen Wasserkanister am Kopf, Wasser muss meist kikometerweit zu Fuß geholt werden. Wir befinden uns jetzt im Land des Stammes der Karamajong, die besonders für ihre Viehherden – vor allem Rinder – bekannt sind. So sehen wir auch immer wieder Hirten mit ihren Herden, wobei man sich nicht vorstellen kann, wovon die Tiere in dieser kargen Landschaft und bei dieser Hitze (knapp 40 Grad) leben, und Kinder, die auf uns zulaufen, winken und „Musungu“ rufen. Musungus – das sind wir (die Weißen), es bedeutet so viel wie „der ziellos Umherwandernde“. Auch die ersten wilden Tiere sehen wir: Strauße und Impalas grasen in der Ferne.
Schließlich erreichen wir das Dorf Panyangara, unser Zuhause für die nächsten drei Tage. Wir wohnen hier bei den Mill Hill Missionaries und werden von Father Ignatius und seinen drei Mitbrüdern empfangen. Mit ihm gehen wir dann auch die wenigen Meter bis ins Dorf, wo wir die große Attraktion sind. Viele kommen um uns die Hände zu schütteln oder beobachten einfach nur was die „Musungus“ machen. Auf der Straße, die durch das Dorf führt, fährt nur selten ein Auto, dafür laufen Schweine und Hühner frei herum.
Heute ist Feiertag, deshalb sitzt das ganze Dorf neben den kleinen „Geschäften“, die nicht viel mehr als einfache Verkaufsstände sind, das Leben spielt sich hier draußen ab. Viele sprechen aber kein Englisch, weil sie nie in der Schule waren (Englisch ist Landessprache und die einzige gemeinsame Sprache im Land). Father Ignatius erzählt uns am Abend beim Essen mit den Padres, dass nur ungefähr 40% der Kinder zur Schule gehen – auch weil sie dort Essen bekommen. Trotzdem glaubt er, dass die Menschen zufrieden sind, weil sie gar nichts anderes kennen. Die meisten kommen in ihrem ganzen Leben nie weg aus der Gegend.
Am nächsten Morgen werden wir vom Grunzen der Schweine geweckt. Nach dem Frühstück fahren wir ins Nachbardorf Watakau, wo uns Father Ignatius auf eine Hochzeit mitnimmt. Wir suchen uns im hinteren Teil der Kirche einen Platz, werden aber sofort nach vorne in die ersten Reihen eingeladen und extra willkommen geheißen. Die Hochzeit wird begleitet von schwungvoller Musik, getanzt werden darf wegen der Fastenzeit nicht. Der Chor im traditionellen Karamajong-Gewand wird von einem Mann und einer Frau dirigiert, spontan erklingt immer wieder ein traditioneller sehr hoher lauter Schrei (entfernt vergleichbar mit unserem Jodeln).
Bevor das Paar getraut wird, muss der Bräutigam zuerst getauft werden, Erstkommunion erhalten und gefirmt werden. Der Ritus ist zwar der gleiche wie bei einer Messe bei uns, aber die Stimmung ist ganz anders und unglaublich lebendig. Es wird geklatscht, gibt immer wieder Bewegungen bei den Gebeten und Liedern und bei der Predigt, von der wir wie von der restlichen Messe nichts verstehen, weil sie in der lokalen Sprache Karamajong gesprochen wird, gibt es immer wieder Gelächter. Am Ende müssen wir weißen Besucher:innen alle aufstehen und bekommen einen Applaus. Der älteste verheiratete Mann unserer Gruppe und die älteste Frau bekommen auch neue Namen - Lokutan und Nakutan - und es wird ein Foto von uns und dem frisch vermählten Ehepaar gemacht.
Dann fahren wir weiter – einige hinten am Pick-Up von Father Ignatius stehend – zu einem Hügel. Gefolgt von barfuß gehenden Kindern erklimmen wir den Felsen, von dessen Spitze man die ganze Umgebung und die vielen nebeneinanderliegenden Dörfer sieht, denen wir auch auf unserer Fahrt nach Panyangara schon begegnet sind.
Eines dieser Dörfer sehen wir uns dann auch noch an. Der Eingang ist ein niedriger Tunnel durch den Holzzaun, der über Nacht geschlossen werden kann, um Tiere und vor allem andere Menschen draußen zu halten. Vor einigen Jahren gab es in dieser Gegend heftige Kämpfe um das Vieh innerhalb des Stammes. Father Ignatius erzählt uns auch von einem Mann, der mehr um seine verstorbene Kuh trauerte als um seine verstorbene Frau. Erst eine groß angelegte Entwaffnungsaktion des Militärs beendete die bewaffneten Auseinandersetzungen.
Drinnen im Dorf sind viele kleine Hütten aus Stroh und Lehm, eine Gruppe umzäunter Strohhäuser gehört jeweils einer Familie. Innen drinnen liegen Kuhhäute als Bett, gekocht wird draußen auf drei Steinen mit offenem Feuer. Wir fahren wieder zurück zur Missionsstation, die für unsere Verhältnisse sehr einfach, im Vergleich zu den Dörfern hier aber fast luxuriös ist (es gibt fließendes Wasser, eine Dusche, ein Bett). Nach dem Mittagessen mit den Padres und den angrenzenden Schwestern besuchen wir noch eine weitere „Back ma’s“ Bäckerei der Caritas (finanziert auch mit Mitteln der ADA). Hier werden Menschen ausgebildet und Brot in guter Qualität hergestellt. Das Brot wird verkauft und versorgt auch die nahegelegene Schule. Am Ende bleibt sogar ein Gewinn, der für soziale Projekte der Mill Hill Missionaries verwendet werden kann. Auch wir versuchen uns am Brot backen und werden von den ugandischen Mitarbeiter:innen angelernt, aber es stellt sich heraus, dass es schwieriger ist, als es aussieht. Wir schaffen es trotzdem zwei Backbleche zu füllen und dürfen am Ende ein frisches – und sehr köstliches – Brot kosten.
Am Abend essen wir wieder gemeinsam mit den Patres. Heute läuft nebenbei im Fernsehen die englische Premier League, die die Ordensmänner alle gespannt verfolgen (Ft. Ignatius ist Arsenal-Fan). Danach führen wir noch interessante Gespräche mit Father Ignatius – bei Gin & Tonic, der die ohnehin kaum vorhandenen Moskitos vertreiben soll. Die wichtigsten Aufgaben der Kirche hier sieht er in Paecebuilding, Zugang zu Bildung ermöglichen und generell den Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen (dignified life). Wir fühlen uns hier wie auf einem anderen Planeten, das Leben der Menschen hier ist so anders als bei uns in Europa. Es geht um die Grundbedürfnisse Wasser, Ernährung, Gesundheit, Bildung. Unsere „first world problems“ wirken dagegen so unbedeutend und unser Reichtum im Vergleich unermesslich und ja, eigentlich unanständig. Es ist ein Auftrag zum Einsatz für eine gerechtere Welt.